Reichspogromnacht

Reichspogromnacht in Rheine

Am 5.11.1938 ermordet ein junger Jude, Herschel Grynspan, in Paris einen deutschen Diplomaten.

Die Nationalsozialisten nehmen dies zum Vorwand, um in Deutschland die jüdischen Mitbürger in bis dahin nicht gekannter Weise zu verfolgen. Die Synagogen gehen in Flammen auf, viele Geschäfte jüdischer Kaufleute werden geplündert und die jüdischen Männer werden verhaftet.

 

Die abgebrannte Synagoge am Anfang der Salzbergener Straße

 

Diese Vorgänge, die sich schwerpunktmäßig auf die Nacht vom 9. zum 10. November 1938 ereigneten, wurden früher - in Anlehnung an eine von den Nationalsozialisten selbst geprägte Bezeichnung - „Reichskristallnacht“ genannt; neuerdings wird dieser Begriff als eine Verharmlosung der Vorgänge angesehen und es setzt sich die Bezeichnung „Reichspogromnacht“ (Pogrom, russ.: Verwüstung, Zerstörung) zunehmend durch.

 

In Rheine sind zwei Gruppen von SA-Männern an den Ausschreitungen gegen die jüdischen Mitbürger beteiligt.

Eine Gruppe zieht zur Synagoge am Anfang der Salzbergener Straße. Im Gebäude werden Kultgegenstände zerstört, die Bänke zusammengestellt, mit Benzin übergossen und angezündet. Gegen 20 Uhr wird die Feuerwehr alarmiert und erscheint an der Brandstelle. Sie wird jedoch von SA-Männern und anderen Anwesenden daran gehindert, das brennende Synagogengebäude zu löschen: zuerst werden die umliegenden Hydranten besetzt, später die Löschschläuche der Feuerwehr aufgeschlitzt.

Die Feuerwehr darf nur das benachbarte Haus Salzbergener Straße 1, die frühere jüdische Volksschule, in der jetzt ein „Alter Kämpfer“ der NSDAP wohnt, vor dem Übergreifen des Brandes schützen. Gegen 3 Uhr morgens ist die Synagoge ein rauchender Trümmerhaufen. Die Mauerreste werden am nächsten Tag wegen Einsturzgefahr abgerissen, der Schutt wird in Eschendorf und auf dem Dorenkamp zur Befestigung von Straßen abgekippt.

 

Inneres der Synagoge nach den Verwüstungen durch SA-Männer

 

Eine zweite Gruppe zieht durch die Innenstadt, um jüdische Geschäfte und Wohnungen zu demolieren und jüdische Einwohner zu drangsalieren. Im Haus der Familie Roberg, Markt 7, zerschlagen die SA-Männer die Fensterscheiben, stürmen die Wohnung, zerschlagen Möbel, Waschbecken und Spiegel und verhaften die anwesenden Männer, die in „Schutzhaft“ genommen werden.

Ähnliche Vorfälle ereigneten sich in den Häusern der Gebrüder Anschel, Auf dem Thie 12, des Kaufmanns Trautmann, Lingener Straße 15, der Familie Reinhaus, Ibbenbürener Straße 26, und der Familie de Beer, Mühlenstraße 29. Hier versucht die bei Familie de Beer wohnende Tante Julie Reinhaus, vor den SA-Männern in das Dachgeschoss zu flüchten, stürzt sich dann aber vor Angst in den Garten und ist auf der Stelle tot.

Nach Augenzeugenberichten sollen an den Ausschreitungen in Rheine etwa 250 Personen beteiligt gewesen sein; gegen 90 Personen werden 1948 Ermittlungen aufgenommen, gegen 25 davon Anklage erhoben. Eine Sonderstrafkammer des Landgerichts Münster bestraft sechzehn Personen aus Rheine wegen der Vorgänge in der Reichspogromnacht mit Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen zwischen achtzehn und fünf Monaten.